Die Kirche Herz Jesu wurde von 1897 bis 1898 als Tochtergemeinde von Sankt Hedwig errichtet. Es handelt sich dabei um eine typische katholische „Straßenfrontkirche“, die vom Architekten Christoph Hehl im romanischen Stil gestaltet wurde. Zu jener Zeit stellten die Katholiken im preußisch-protestantischen Berlin eine von der Obrigkeit misstrauisch betrachte Minderheit dar. Der „Kulturkampf“, jene vehemente, 16 Jahre andauernde Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der katholischen Kirche, lag gerade erst ein Jahrzehnt zurück und hatte einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Für die katholische Gemeinde im Norden Berlins, einem relativ jungen Teil der Stadt, der erst seit 1860 systematisch bebaut worden war, wurde ein Gotteshaus gebraucht. Die für die Kirche vorgesehenen drei Grundstücke erstreckten sich von der Fehrbelliner Straße bis zur Schönhauser Allee und zeichneten sich durch bedeutendende Höhenunterschiede aus. Die Bauherren fällten deswegen die Entscheidung, das Gelände bis auf das tiefste Niveau auszuschachten. Dies bedeutete wiederum, dass das gesamte Gebäude vollständig unterkellert werden musste. Somit hatte Herz Jesu eine Krypta, die nicht nur auf den Bereich unter dem Altar beschränkt war, sondern sich unter der gesamten Kirche erstreckte – in dieser Region eine große Seltenheit! Von der ursprünglichen Schönheit der kreuzgratgewölbten Krypta ist leider nicht mehr viel geblieben.
Im Januar 1940 erhielt der für Herz Jesu zuständige Pfarrer Brinkmann ein Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten, der damals die Funktion des „örtlichen Luftschutzleiters“ erfüllte. In dem Brief stand, dass der Ausbau von öffentlichen Luftschutzräumen auf dem Grundstück der Kirche „im Interesse der Reichsverteidigung“ erforderlich wäre. Die in Betracht kommenden Kellerräume der Kirche würden aufgrund des „§ 10 des Reichsleistungsgesetzes vom 1.9.39“ in Anspruch genommen. Was war der Hintergrund dieser Anordnung? Bei Kriegsbeginn gab es nur für wenige Prozent der Berliner Bevölkerung Luftschutzbunker. Die Nazis hatten den Krieg zwar seit Jahren vorbereitet, den Schutz der eigenen Bevölkerung dabei jedoch weitgehendst vernachlässigt. Angemessenen Schutz gab es nur für die wichtigen Funktionsträger des Regimes. Erst 1939 wurden größere Maßnahmen für den Bunkerbau und die „Verbunkerung“ bereits vorhandener unterirdischer Räume in Gang gesetzt – wie eben auch für den Keller der Herz-Jesu-Kirche. Nach kurzer Zeit wurde dieses Programm aber wieder heruntergefahren, da die Nazis in der ersten Phase des Krieges große militärische Erfolge erzielt hatten. Im August 1940 setzten dann aber britische Bombenangriffe auf Berlin ein. Die deutsche Abwehr war nicht in der Lage, sie aufzuhalten. Deswegen wurde der Bunkerbau bzw. der Ausbau von Schutzräumen wieder angekurbelt.
Die Herz-Jesu-Kirche wurde seit Januar 1941 als Luftschutzraum für etwa 500 Personen verwendet. In dem Keller gab es 12 Schutzräume und drei Gasschleusen an den Zugängen (letztere sollten chemische Kampfstoffe abhalten). Die Aufenthaltsräume hatten eine Größe von zusammen etwa 265 Quadratmetern. Für die Nutzung als Luftschutzraum hatte man Zwischenwände und zusätzliche Pfeiler eingebaut. Zudem wurden auch die Decken verstärkt. Der Bunker war über einen Zugang in der Nähe des Altars sowie über zwei Eingänge an der Straße erreichbar (ein weiterer, ebenfalls von der Straße aus erreichbarer Zugang eignete sich nur für Notfälle). Über die Nutzung der Luftschutzräume sind nur wenige Details bekannt. Die an Häufigkeit und Wucht zunehmenden Bombenangriffe der Alliierten und die Knappheit an Schutzplätzen führten dazu, dass die Bunker meistens überbelegt waren. Neben der qualvollen Enge bedeutete dies auch, dass der Sauerstoff knapp werden konnte. So berichtet eine Insassin in ihren Aufzeichnungen, dass in den überfüllten Luftschutzräumen unter der Kirche „ein Streichholz sofort verlosch und eine Kerze sich nicht entzünden ließ“. Die Kirche wurde während des Krieges mehrere Male von Bomben und Granaten getroffen, die keine größeren Schäden anrichteten. Am 20. bzw. 21. April 1945 durchschlug jedoch eine 500 Kilo schwere Bombe das Dach des Gebäudes, prallte auf dem Boden der Kirche auf – und explodierte nicht! Dies war ein großer Glücksfall, denn die Detonation der Sprengladung hätte die Decke des Kellers mit größter Wahrscheinlichkeit zerstört und ein Blutbad angerichtet. Anschließend mussten fast 1000 Menschen aus der überfüllten Krypta evakuiert werden.
Im Jahre 1947 wurde eine der Türen innerhalb des Bunkers vermauert. Abgesehen davon befindet sich der Bunker baulich noch weitgehend in seinem alten Zustand. An den Wänden erkennt man alte Inschriften und die floureszierende Leuchtfarbe aus dem Kriege. An der vermauerten Tür erinnert eine große, „Schreckenstage in Herz Jesu“ betitelte Inschrift aus der frühen Nachkriegszeit an die Treffer, die das Kirchengelände von 1943 bis 1945 erhielt:
30. März 1943 / Flackgranate im Dach der Kirche
22./23. November 1943 / Bombenfeuer vernichtet 500 Häuser / darunter unser Vorderhaus [damit ist das Gebäude an der Schönhauser Allee 182 gemeint]
24. Mai 1944 / Benzolkanister zerschellt im Hof / Hl. Schutzengel wir danken Euch
18. März 1945 / Pfarrhaus schwer getroffen
21. April 1945 / Schwere Bombe (Blindgänger) i.d.K. [in der Kirche] / St. Josef schützte uns und unser / Gotteshaus
22.4.-2.5.1945 / über 20 Treffer in Kirche und Haus
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