Im Rahmen einer Reise durch Usbekistan und Turkmenistan hatten zwei unserer Vereinsmitglieder Gelegenheit, einen Blick in den zentralasiatischen Untergrund zu werfen. Bereits im Vorfeld dieser Tour zeigte sich, dass die Existenz dieser ehemaligen Sowjetrepubliken vielen Bundesbürgern offenbar nicht geläufig ist („Wo fahrt ihr hin? Wie buchstabiert man das? Und das sind richtige Länder?“). Auch das Anliegen, den Untergrund dieser Staaten zu erkunden, wurde mit einer gewissen Mischung aus Skepsis und Unverständnis betrachtet („Da ist doch nichts außer Steppe und Wüste!“).
Wie sich herausstellen sollte, war in beiden Ländern weitaus mehr als „Steppe und Wüste“ zu sehen! Orte wie Samarkand, Buchara, Chiwa, Kohne Urgentsch und Schahr-e Sabs beherbergen traumhaft schöne islamische Architektur, die teilweise auf der Liste des Weltkulturerbes steht. Wer jemals den Rigestan in Samarkand, die Altstadt Chiwas oder die mächtige Festung Ark in Buchara gesehen hat, kann vor der Zivilisation ihrer Erbauer nur seinen Hut ziehen! Darüber hinaus zeichnen sich die beiden Hauptstädte Taschkent und Aschgabat jeweils durch ein ganz eigenes Flair aus. Die Usbeken und Turkmenen wiederum sind sanfte und friedfertige Menschen, denen man nur wünschen kann, dass die autokratischen Verhältnisse in ihrer Heimat tragfähigen Demokratien weichen werden (gerade in Turkmenistan ist nicht zu übersehen, dass es sich um einen Polizeistaat mit ausgeprägtem Führerkult handelt).
Hinsichtlich des Untergrundes hat Zentralasien eine lange Tradition vorzuweisen: Bereits in der Antike wurden dort zum Beispiel vielerorts unterirdische Bewässerungssysteme angelegt. Und in der Stadt Nisa, heutzutage ein berühmtes Kulturdenkmal in Usbekistan, gab es bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus Weinkeller in den Wohnhäusern. Was den Rest betrifft, haben die unterirdischen Bauwerke dieser Region ganz eigene Geschichten zu erzählen. Nicht zu Unrecht kann man hier oft von „1001 Nacht“ sprechen!
Unsere erste Station war die usbekische Hauptstadt Taschkent, deren 1977 eingeweihte U-Bahn einige sehr schöne Bahnhöfe aufzuweisen hat, die sich vor der berühmten Moskauer Metro nicht verstecken müssen. Bedauerlicherweise wurde in unseren Reiseführern aber explizit darauf verwiesen, dass das Photographieren in der U-Bahn verboten ist – und vor den dort allgegenwärtigen Polizisten gewarnt. Unter diesen Umständen gelangen leider nur ein paar hastige, „aus der Hüfte“ geschossene Bilder einer mittelmäßig aussehenden Station. Und dann bat uns unser Stadtführer auch schon, keine weiteren Bilder mehr zu machen. Die „U-Bahn-Geheimniskrämerei“ könnte darauf zurückzuführen sein, dass das System offenbar auch für den Zivilschutz der Stadt gebaut wurde. Die Eingange der U-Bahn sind übrigens eher unauffällig, aber (mit etwas Übung) durch den verbauten roten Stein klar erkennbar.
Die nächste Station war Kohne Urgentsch in Turkmenistan. Hier befinden sich, über eine größere Fläche verstreut, zahlreiche bedeutende Bauwerke. Sie sind zwar nicht mit den prunkhaften Schätzen anderer zentralasiatischer Kulturstätten vergleichbar, gehören seit 2005 aber auch zum Weltkulturerbe. Auf der „untergrundrelevanten“ Ebene befindet sich dort die Grabmoschee der Sufi-Dynastie. Das im 14. Jahrhundert errichtete Bauwerk enthält die Grabkammer Turabek Hanims, der Lieblingsfrau des Statthalters von Usbek Khan. Auch die archäologischen Ausgrabungen und die für westliche Augen recht ungewöhnlichen Grabmäler sind für kulturhistorisch interessierte Besucher sehenswert.
Der nächste größere Stop war Aschgabat, die Hauptstadt Turkmenistans. Hier fielen vor allem das immense Bauprogramm – vielleicht nur mit Schanghai oder Dubai vergleichbar – und die über die Stadt verteilten Denkmäler des verstorbenen Präsidenten Turkmenbaschi auf (von denen wir ganze sieben Stück zählten). In der Nähe des „russischen Basars“ konnten wir sehen, dass die gute alte Tiefgarage kein Privileg westlicher Länder ist. Gerne hätten wir uns dieses Bauwerk einmal von innen angeschaut. Aber die Staatsmacht ist in diesem Land doch an vielen Orten präsent ... und soll man dann zu einem Polizisten oder einem ganz normalen Einheimischen, der sich fragt, was diese Ausländer in seiner Tiefgarage zu suchen haben, etwa sagen: „Wir sind deutsche Historiker, die sich auf unterirdische Architektur spezialisiert haben! Und wir haben jetzt dieses Bauwerk betreten, weil wir mal wissen wollten, wie eine wahrscheinlich noch aus der Sowjet-Ära stammende turkmenische Tiefgarage aussieht.“ Und das noch in turkmenischer Sprache?
Somit blieben wir draußen.
Kommen wir nun zur Kulturstätte Merw, einem – so wie Kohne Urgentsch – über eine größere Fläche verstreuten archäologischen Ensemble. Berühmt ist hier vor allem die „Jungfrauenfestung“ Kis Kale. In Merw stießen wir auf zwei mittelalterliche Zisternen. Angesichts der allgemeinen Wasserknappheit sind unterirdische Reservoirs in Zentralasien von großer Bedeutung. Andererseits war das Wasser vor Ort gar nicht einmal sooo knapp: Unser Aufenthalt in Merw wurde teilweise von erstaunlich viel Regen und viel Schlamm begleitet!
Nach dem Aufenthalt in Turkmenistan ging es wieder zurück nach Usbekistan. In der dortigen Stadt Buchara befindet sich das berühmte Mausoleum der Samaniden. Einer der bekanntesten Herrscher dieser Dynastie war Ismail ibn Ahmad. Nach seinem Tode „regierte“ er die Stadt noch vierzig Jahre lang. Wie war das möglich? Nun, wer sich das Grabmal im Mausoleum etwas näher anschaut, erblickt dort eine kleine Nische mit einem Stein (siehe Photo). Und wer damals einen Rat brauchte, legte einen Zettel mit der entsprechenden Frage und etwas Geld unter diesen Stein. Und siehe da: Am nächsten Morgen lag dann ein Zettel mit einer weisen Antwort unter dem Stein. Unser Stadtführer wies darauf hin, dass sich dieses kleine „Wunder“ vielleicht durch einen geheimen Tunnel erklären ließe, der vom Grabmal zum Palast des Emirs führte. Und wahrscheinlich wurden dort die Antworten auf die Anfragen verfasst. Eines Tages entschlossen sich die Machthaber im Palast schließlich, Ismail ibn Ahmad endgültig ruhen zu lassen.
Kommen wir nun zum großen Nationalhelden des usbekischen Volkes: Er trägt den Namen Timur Lenk, oft auch Tamerlan genannt, und war ein sehr erfolgreicher Feldherr: Sein riesiges, zwischen 1380 und 1405 erobertes Imperium reichte von Istanbul bis nach Delhi und umfasste etwa die Hälfte der damaligen Weltbevölkerung. Timur zeichnete sich durch eine außergewöhnliche Grausamkeit aus. Aber er war auch ein großer Freund der Künste und Geisteswissenschaften. Und seine Feldzüge stoppten, so die Historiker, auch die Europa bedrohenden osmanischen Türken. Über die Jahrhunderte hinweg wurde Timur dann langsam vergessen. Erst in der nachsowjetischen Zeit erlebte er ein Comeback: Die von den Sowjets ihrer historischen Identität beraubten Usbeken fanden sich 1991 plötzlich in einem neuen, unabhängigen Staat wieder und mussten sich erst einmal eine „eigene Geschichte schreiben“. Das der für westliche Augen sehr unkritisch erscheinende Timur-Kult natürlich auch konkrete politische Funktionen erfüllt, liegt dabei auf der Hand.
Für den legendären Timur wurden zwei Grabkammern erbaut: Die erste, ein überraschend schlichtes Bauwerk, liegt in Schahr-e Sabs. Timur wurde dort aber nie begraben, da diese Gruft zu weit von seinem Todesort entfernt lag (während des Transports wäre es zu Verwesungserscheinungen gekommen). Weil in der damaligen islamischen Tradition Grabkammern aber nicht unbelegt bleiben durften – sie hätten sonst „nach Menschen gerufen“ – wurde eine Frau dort in einem Steinsarg beigesetzt. Sie wird wahrscheinlich eine von Timurs Ehefrauen bzw. Geliebten gewesen sein. Die Gruft geriet in Vergessenheit und kam erst 1943 wieder ans Tageslicht: Ein paar Jungen spielten Fußball ... und plötzlich verschwand ihr Ball in einem Erdloch. Als die Jungen dieses Loch erweiterten, stießen sie auf die Grabkammer.
Timurs echtes Grab liegt im Gur-Emir-Mausoleum der Stadt Samarkand. Wer diesen Bau betritt, sieht zunächst mehrere Kenotaphen, unter denen Timurs aufgrund des schwarzen Steines sofort auffällt. Die anderen Grabdenkmäler wurden für Verwandte bzw. Mitstreiter Timurs aufgestellt. In einer unter diesem Raum liegenden, schmucklosen Gruft befinden sich die eigentlichen Särge. Wie die Legende es besagt, sollte der grausame Timur sein Zerstörungswerk noch lange nach seinem Tode fortsetzen:
Im Juni 1941 öffneten sowjetische Archäologen das Grab Timurs und entnahmen seine Knochen für wissenschaftliche Untersuchungen. Für den stolzen Krieger muss dieser Vorgang ein entsetzlicher Frevel gewesen sein. Und Timurs Rache an den Sowjets ließ nicht lange auf sich warten: Einen Tag nach der Öffnung seines Grabes griff die deutsche Wehrmacht mit mehr als drei Millionen Soldaten die Sowjetunion an und fügte ihren Truppen entsetzliche Verluste zu. Nach den Niederlagen der ersten Kriegsphase hörte Stalin von dem Zusammenhang zwischen der Exhumierung und dem deutschen Überfall. Daraufhin ließ er die Knochen sorgfältig wieder beilegen und unterzog Timurs Mausoleum einer aufwändigen Restauration. Und tatsächlich: Kaum waren diese Arbeiten abgeschlossen, wurde die deutsche 6. Armee in Stalingrad eingeschlossen und vernichtet. Eine interessante Interpretation der „Operation Barbarossa“!
Beim Verlassen Samarkands waren in den Felsen und Hügeln um die Stadt herum Nischen erkennbar, die wie Höhlenwohnungen aussahen. Unser Guide erklärte dazu, dass die ersten Bewohner Samarkands in derartigen Behausungen gelebt hätten. Das waren dann unsere letzten „Untergrund-Impressionen“. Am nächsten Tag flogen wir zurück. Mit ihrer Mischung aus endloser Landschaft, den Schätzen islamischer Kultur und dem Charme „orientalischer“ Städte kann man Usbekistan und Turkmenistan als Reiseziele nur empfehlen!
Mai 2010