Die Stadt Stettin (Szczecin) liegt im Nordwestens Polens und ist von Berlin aus mit dem Zug in etwa zwei Stunden erreichbar. Die Hafenstadt wurde im 13. Jahrhundert gegründet, wechselte mehrfach den Besitzer und erlebte seit Ende des 19. Jahrhunderts durch die Industrialisierung und den Hafen einen großen Aufschwung. Während des Nationalsozialismus war hier das typische Spektrum von Gewaltherrschaft, Fanatismus, Anpassung und Widerstand zu beobachten. Bereits 1940 wurde die gesamte jüdische Bevölkerung verschleppt. Bombenangriffe und Kampfhandlungen führten seit 1944 zu einer weitgehenden Zerstörung der Stadt. Nach dem Kriege wurde Stettin Polen übertragen und die deutsche Bevölkerung vertrieben. Die neuen Einwohner der Stadt waren Polen, die ihrerseits von den Sowjets aus dem Osten des Landes vertrieben worden waren. Mit viel Fleiß bauten sie die Stadt wieder auf. Im Jahre 1970 gab es einen Aufstand der Arbeiter, der von der Miliz blutig niedergeschlagen wurde. Später sollte die „Solidarnosc“-Bewegung bei der Demokratisierung des Landes eine große Rolle spielen.
Heutzutage ist Stettin eine schöne, interessante Stadt. Sie trägt hier und da noch Spuren der realsozialistischen Tristesse und muss mit größeren wirtschaftlichen Problemen kämpfen. Aber sie ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten sind das Schloss der Pommerschen Herzöge und die Hakenterrasse. Darüber hinaus sollten die zwei ehemaligen Stadttore, die beiden Rathäuser, die St. Jakobi-Kathedrale, die Garnisonkirche sowie das riesige „Denkmal der Taten der Polen“ besichtigt werden. Anschließend vielleicht noch eine Schifffahrt oder etwas Shopping?
Natürlich hat Stettin auch sehenswerte unterirdische Orte zu bieten. Das Highlight ist dabei der riesige ehemalige NS-Luftschutzbunker unter dem Stettiner Hauptbahnhof. Auf einer Fläche von mehreren tausend Quadratmetern befindet sich dort eine große Ausstellung, die die Geschichte des Bunkers, aber auch die Vergangenheit des alten Stettins darstellt. Darüber hinaus werden dort bestimmte Aspekte der deutsch-polnischen Geschichte thematisiert, die eine Führung durch den Bunker zu einer lehrreichen „Geschichtsstunde“ machen. Die Touren sind unter www.schron.szczecin.pl zu buchen.
Für die Freunde leiblicher Genüsse empfiehlt sich wiederum eine Führung durch die Gewölbe der „Polmos“-Brennerei, die u.a. den berühmten „Starka“-Wodka produziert. Ursprünglich befand sich auf dem Areal eine 1863 gegründete Brauerei, deren Gewölbe während des Krieges auch als Luftschutzkeller genutzt wurden. Die sowjetische Präsenz auf dem Gelände führte nach 1945 zu schweren Schäden an den Produktionsanlagen. Aber bereits kurze Zeit später wurde dort die Produktion von Spirituosen aufgenommen. Heutzutage befinden sich etwa eine Million Liter Hochprozentiges auf den drei Ebenen der bis zu 20 Meter tiefen, 3000 Quadratmeter umfassenden Keller. In hölzernen Fässern verschiedenster Größen reift der Vodka bis zu 50 Jahre lang. Führungen durch die Gewölbe – natürlich mit einer kleinen Verkostung verbunden – können per E-Mail bei polmos@polmos.szczecin.pl gebucht werden.
Wer das bereits erwähnte Schloss der Pommerschen Herzöge besucht, kann dort in einem Kellergewölbe auch deren Särge aus dem 16. und 17. Jahrhundert bestaunen. Sie wurden eher zufällig 1946 in einer in Vergessenheit geratenen Krypta entdeckt. Da viele der insgesamt 14 Zinnsärge stark beschädigt waren, werden nur die restaurierungswürdigen, einigermaßen erhaltenen Exemplare ausgestellt. Die ursprüngliche Krypta wiederum beherbergt heutzutage ein winziges Theater.
Wer sehen möchte, wie ehemalige Luftschutzbunker kommerziell genutzt werden können, sollte auf der Grünfläche gegenüber der Garnisonkirche nach einem mit einem „Bunkier“-Transparent gekennzeichneten Abgang suchen. In der kleinen Anlage wird subkulturelle Kleidung jeder Art verkauft – vom Gruftie-Outfit bis zu Doc Martens-Stiefeln. Zum Abschluss empfiehlt sich, last but not least, ein Bier im Keller des alten Rathauses (nicht zu verwechseln mit dem neuen Rathaus in der Nähe des Hauptbahnhofes). Das Gewölbe ist ab 15 Uhr geöffnet und es können dort auch Veranstaltungen ausgerichtet werden (siehe www.uwyszaka.pl – leider nur in polnischer Sprache verfügbar).
Der Verein „unter-berlin“ bietet auf Anfrage Tagestouren für Gruppen nach Stettin an. Das Programm kann den Wünschen der Teilnehmer angepasst werden – von „touristisch“ über „historisch“ bis zu „untergründig“. Schicken Sie uns einfach ein E-Mail! Darüber hinaus finden Stettin-Exkursionen auch im Rahmen der einwöchigen Berlin-Seminare des Robert-Tillmanns-Hauses statt (www.rth-berlin.de).
Juni 2010