In diesem Jahr sind zwei neue, bemerkenswerte Bände zum Thema „Bunker“ erschienen, die hier besprochen werden sollen. Es gibt mittlerweile, rein quantitativ gesehen, zwar keinen Mangel an Büchern zu diesem Thema mehr – aber das Gros dieser Literatur beschränkt sich in der Regel nur auf einzelne Anlagen oder Zeitabschnitte. Zudem fehlt den Büchern häufig eine kritische, am historischen Kontext orientierte Reflektion. Oft handelt es sich nur um technische Beschreibungen.
Deswegen ist der „Bunker“-Sammelband von Inge Marszolek und Marc Buggeln (Campus Verlag) besonders zu begrüßen. Das Buch enthält insgesamt 19 Texte, die das Thema in einer sehr umfassenden und tiefschürfenden Art und Weise beleuchten. Natürlich ist es unmöglich, das Thema Bunker in einem einzigen Buch abzuhandeln, die Verfasser räumen das auch im Vorwort ein. Aber hier wird das Thema zum ersten Mal in einer interdisziplinären und internationalen Art und Weise dargestellt. Für Marszolek und Buggeln stellen Bunker einen besonderen Zugang zur Geschichte des 20. Jahrhunderts dar. In ihrem Vorwort beziehen sie sich auf den von Michel Foucault geprägten Begriff der „Heterotopie“: Der Bunker als Raum manifestiert ein Geflecht sozialer Beziehungen, vor allem der Machtpraktiken – letzten Endes ist er eine „Mikrophysik der Macht“.
Das Buch besteht aus drei Teilen: „Bunker in Deutschland“, „Bunker in der Welt“ und „Architektur und Ästhetik“. Im ersten Teil geht es um einzelne Bunker bzw. Bunker in bestimmten Städten, aber auch zum Beispiel um die Geschichte des Zivilschutzes in der BRD. Im zweiten Teil finden sich Aufsätze über Bunker bzw. den heutigen Umgang mit ihnen in Großbritannien, Japan, Frankreich und den USA. Im dritten Teil geht es um die Räumlichkeit der Bunker: Was ist die tiefere Bedeutung des Bauwerkes „Bunker“? Welche Bezüge gibt es zwischen dem Bauwerk, den sich darin befindenden Menschen und dem System, das ihn errichten ließ? Wie kann man mit der brachialen Optik dieser Betonklötze heutzutage umgehen? Und welche Formen des Gedenkens sind angebracht?
Herausragend sind dabei die Aufsätze von Jan-Henrik Friedrichs und Habbo Knoch. So weist Friedrichs darauf hin, dass erst in den Luftschutzbunkern die „Volksgemeinschaft“ der Nazis (unfreiwilligerweise) realisiert wurde: Wer kein „Volksgenosse“ war, blieb draußen – ein zentraler Aspekt, der in den meisten Bunker-Büchern fehlt. Darüber hinaus legt er eindringlich dar, warum der „Zivilschutz“ der Nachkriegszeit nur eine Farce war. Außerdem hinterfragt Friedrichs kritisch, wie heutzutage mit NS-Bunkern im Rahmen von Führungen bzw. Ausstellungen umgegangen wird. Er weist z.B. darauf hin, dass in den Ausstellungen mitunter der Unterschied zwischen den Tätern und den Opfern des Nationalsozialismus verwischt wird: Nazis und KZ-Häftlinge sind dann plötzlich alle „Opfer des Krieges“ und der Bunker ein „Mahnmal“ für sie. Habbo Knoch wiederum fragt, wie Bunker das NS-Herrschaftssystem mit all seinen Verflechtungen repräsentierten. Er zeigt auf, dass Bunker auch den Nationalsozialismus „vor Ort“ verkörperten. Zugleich stehen sie als „Orte der Gewalt“ exemplarisch für den Nationalsozialismus als Ganzes. Es ist dieser übergreifende Kontextbezug, der den meisten Bunker-Büchern fehlt.
Bemerkenswert ist darüber hinaus ein Aufsatz, in dem Albert Speers „Ruinenwert“-Theorie als Legende entlarvt wird sowie eine Beschreibung der in der Schweiz unternommenen Versuche, Bunker ins Landschaftsbild zu integrieren und sie so „verschwinden“ zu lassen. Wenn man an diesem Band etwas kritisieren kann, so ist es eigentlich nur, dass die Problematik des „Bunker-Tourismus“ noch mehr Platz verdient hätte. Der von Karola Fings und Frank Möller verfasste Sammelband „Zukunftsprojekt Westwall“ füllt wiederum diese Lücke. Er basiert auf der entsprechenden Konferenz, die 2007 in Bonn stattfand. Das Buch gliedert sich in drei Teile: Zuerst werden alte und neue „Westwall“-Mythen ergründet. Dann erfolgt eine Bestandsaufnahme der Anlage. Im dritten Abschnitt wird nach einem verantwortungsvollen Umgang mit den Resten der Befestigungslinie gefragt.
Besonders erschreckend sind dabei die Kapitel, die den Bunker-Tourismus entlang des „Westwalls“ behandeln: Viele „Museen“ vor Ort, in der Regel von Hobby-Historikern eröffnet, sind reine Waffen-Ausstellungen. In den Räumen wird sozusagen Krieg gespielt! Zugleich werden dort oft die Mythen reproduziert, die von den Nazis hinsichtlich der Stärke und der vermeintlichen Notwendigkeit des „Westwalls“ verbreitet wurden. Darüber hinaus wird meistens verschwiegen, dass der „Westwall“ Teil einer verbrecherischen, militärischen Expansionsstrategie war, die seit 1933 systematisch umgesetzt wurde. Auch die Härten, die der Bau der Bevölkerung aufbürdete und die repressive Art und Weise, wie mit den eingesetzten Arbeitern umgegangen wurde, fehlen oft in den Museen. Unter diesen Umständen kann es dann fast schon als Ironie verstanden werden, wenn die Betreiber ihre Ausstellungen als „Mahnmale gegen den Krieg“ deklarieren. Der von Hilmar Schmundt in „Böse Orte“ (Berlin, 2005) geprägte Begriff des „Wilden Gedenkens“ charakterisiert den Kern dieses Problems sehr genau.
Das Buch behandelt „nur“ den Westwall, aber die darin aufgezeigten Probleme sind symptomatisch für große Teile des Bunker-Tourismus in ganz Deutschland. Insofern ist dieses Buch von besonderer Wichtigkeit – gerade weil eine Debatte über dieses Problem in der Fachwelt und Politik bis jetzt ausgeblieben ist. Am Ende bleibt die von Frank Möller in dem Band aufgeworfene Frage, wie die Faszinationskraft, die die wuchtigen Bunker auf viele Menschen ausüben, gebrochen werden kann. Ein Problem, dem sich die Museumspädagogik erst noch stellen muss!
Fazit: Beide Bände behandeln das Thema auf bisher kaum beachteten Ebenen und bereichern die Diskussion um den Umgang mit NS-Bunkern um neue Facetten. Wer sich ernsthaft und seriös mit Bunkern beschäftigt, sollte sich diese Bücher unbedingt zulegen.
Oktober 2008